(März 2010) Der offensive Mittelfeldspieler wirbelt normalerweise auf den beiden Außenbahnen. Doch der technisch starke Youngster hat zuletzt gezeigt, dass er auch auf „fremdem" Territorium zu überzeugen weiß. Prädikat: besonders wertvoll.
Eigentlich zählten bislang das offensive Mittelfeld und namentlich die linke oder rechte Außenbahn zu den vermeintlichen Lieblingspositionen von Sandro Kaiser. Doch das Eigengewächs des TSV 1860 hat längst bewiesen, dass er flexibel genug ist, auch andere Aufgaben auf dem Platz zu übernehmen. Wie beim letzten Heimspiel gegen den FC St. Pauli. Für den kurzfristig krankheitsbedingt ausgefallenen José Holebas rückte der 20-Jährige auf die linke Verteidigerposition und spielte eine überzeugende Partie. „Der Mann, der bei den Löwen alles kann“, titelte daraufhin die BILD und brachte damit die große Vielseitigkeit des sympathischen „Allrounders“ auf den Punkt.
Beidfüssig, schnell, dribbelstark, sehr gute Technik - mit diesen Attributen überzeugte Kaiser Cheftrainer Ewald Lienen. Zu Saisonbeginn, als die Vorbereitungsphase startete, wurde er von der U23 nach oben befördert. „Dass ich bei den Profis mittrainieren durfte, war erst mal keine Überraschung", erzählt er rückblickend, „dass ich aber sofort gespielt habe, das dann schon. Das hätte ich natürlich nicht erwartet."
In der Tat verlief der Karrieresprung daraufhin ziemlich schnell, ein „Sommermärchen" quasi. Statt erst mal langsam bei den Profis reinzuschnuppern, sich über das Training peu à peu heranzuarbeiten, um dann irgendwann die ersten (Kurz-)Einsätze zu bekommen, fand sich Kaiser im August ad hoc in der Startelf der Zweitligamannschaft wieder. Das erste Pflichtspiel für die Lizenzmannschaft bestritt er im DFBPokal gegen den SC Paderborn am 1. August 2009; nur eine Woche später gab er im Heimspiel gegen Koblenz sein Debüt in der Zweiten Liga. Und die Premiere in der Allianz Arena, das erste Mal im Fröttmaninger Stadion vor den eigenen Fans auf den Rasen laufen zu dürfen - das toppte für den damals 19-Jährigen alles bisher im Fußball erlebte.
„In der Allianz Arena zu spielen, war das schönste Erlebnis", dicht gefolgt vom Heimspiel im DFB-Pokal gegen die Hertha aus Berlin. Ob man als junger Spieler nicht sehr aufgeregt sei, wenn man das erste Mal vor so einer vergleichsweise großen Kulisse aufläuft? „Nicht wirklich", erzählt der Abiturient ganz „cool". Klar, wenn man das Stadion betrete, sei das schon etwas ganz Besonderes. Aber „sobald das Spiel losgeht, denkt man nicht mehr darüber nach".
Gegen diese ersten Highlights im Profibereich verblassten sogar die großen Erfolge und Titel, die er mit dem Löwen-Nachwuchs erzielt hatte: die Deutsche Meisterschaft mit der U17 im Jahr 2006 und 2007 den DFB-Junioren-Vereinspokalsieg mit der A-Jugend. Sandro Kaiser gehört also zu jenem „goldenen" 89er-Jahrgang, auf den man beim TSV 1860 besonders stolz ist. Doch während Jahrgangskollege Timo Gebhart oder die Bender-Zwillinge schon zwei Jahre frührer den Sprung in den Profi-Bereich geschafft hatten und stets als die herausragenden Löwen-Talente gepriesen wurden, war der Rummel um Kaiser dagegen überschaubar. Ob man sich deshalb im Schatten der Bender-Brothers fühlte? Oder gar ein bisschen neidisch auf das Trio blickte? „Nein, überhaupt nicht", erzählt der aufgeschlossene Youngster. „Ich fand das immer toll, dass sie bei den Profis waren, und habe mich für sie gefreut." Vielmehr sei es Ansporn und Ermutigung gewesen, „dass man es selbst auch schaffen will".
Dass er es tatsächlich geschafft hat und im vergangenen Jahr seinen ersten Profivertrag bis 2012 unterschrieben hat, dafür ist die Nummer 21 der Löwen nicht zuletzt seinem Vater dankbar. „Ihm habe ich sehr viel zu verdanken, ohne ihn hätte ich es nie geschafft." Denn Jürgen Kaiser war nicht nur sein erster Fußballtrainer gewesen, sondern hat seinen jüngsten Sohn zwei- bis dreimal wöchentlich zum Training nach München in die Grünwalder Straße gefahren. Und jedes Wochenende standen Spiele auf dem Programm. Im Alter von zwölf Jahren hatte sich Sandro entschieden, das Angebot des TSV 1860 anzunehmen und in die Löwen-U13 zu wechseln. Beim Merkur-Cup, einem jährlich ausgetragenen Jugendturnier, waren die Talentspäher der Sechziger auf den offensiven Mittelfeldspieler aufmerksam geworden und hatten ihn zum Probetraining eingeladen. Wie übrigens auch der FC Bayern. „Ich habe mich aber für 1860 entschieden." Bereut hat er diese Entscheidung bislang jedenfalls nicht.
Eigentlich hätte er bereits drei Jahre früher die Möglichkeit gehabt, in den Nachwuchsbereich des TSV zu wechseln und für die Löwen zu spielen. Doch für den damals Neunjährigen war dieser Zeitpunkt „noch zu früh", „mit zwölf war es dann aber klar, dass ich das machen wollte". Die Entfernung zwischen Dießen am Ammersee, wo Sandro mit seinen beiden Brüdern Lukas und Fabian aufwuchs, und München-Giesing war trotzdem noch zu groß, um alleine mit Bahn und öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Und so hat ihn anfangs eben sein Vater mit dem Auto zum Trainingsgelände gebracht - ein großer Aufwand für den Familienvater. „Er hat mich wirklich enorm unterstützt." Mit zunehmendem Alter löste sich die Frage des Transports dann von selbst, „je selbständiger ich wurde, umso leichter wurde alles". Bis zur 11. Klasse besuchte er noch das Gymnasium in Landsberg am Lech, die 12. und 13. Klasse absolvierte das Löwentalent dann direkt in München auf dem Theodolinden- Gymnasium, einer der „Partnerschulen des Leistungssports". Gewohnt hat er während der Schulzeit, wie viele andere Jugendspieler des TSV 1860 auch, im Schüler- und Studentenwohnheim Albertinum in der Westendstraße.
Den Traum, Fußballprofi zu werden, träumte Sandro Kaiser schon sehr früh - wahrscheinlich, seitdem er im Alter von fünf Jahren angefangen hatte, bei seinem Heimatverein MTV Dießen gegen das runde Leder zu treten. „Wenn ich mir heute die Freundschaftsalben angucke, die man als Kind untereinander ausgetauscht hat, dann stand da bei mir zu der Frage nach dem Berufswunsch immer Fußballprofi", berichtet er lachend, „aber dass das wirklich klappt...". Und so strahlen seine Augen noch immer, wenn er sich an den Tag erinnert, an jenen 13. August 2009, als er seinen Profivertrag bei den Löwen unterschrieb. „Das ist absolut etwas Besonderes gewesen, es war immer der Traum, mein Hobby zum Beruf zu machen." Da es bei ihm im Endeffekt so schnell ging - vom Trainingsauftakt bis zur Vertragsunterschrift vergingen gerade einmal zwei Monate -, habe er am Anfang überhaupt nicht so realisiert, „auf einmal spielst du, und auf einmal unterschreibst du deinen ersten Vertrag". Der gefühlte Unterschied zwischen einem Vertragsamateur und einem Profi? „Das ist einfach geil!"
Wie es sich anfühlt, wenn es einmal nicht ganz so rund läuft, hat der Jungprofi allerdings auch schon ansatzweise erfahren. Ende November zwang ihn eine Verletzung des Innen bandes im linken Knie zum Pausieren und warf ihn infolgedessen etwas aus der Bahn. Es sollte bis zum 22. Spieltag, Mitte Februar im Auswärtsspiel bei der SpVgg Greuther Fürth dauern, bis er es endlich wieder in die Mannschaft schaffte: „Es war schon ziemlich schwierig, wieder rein zu kommen." Zum einen musste er selbst nach der Verletzungspause wieder zu seiner Form finden, zum anderen setzte die Mannschaft gerade zu ihrer erfolgreichen Serie an - never change a winning team. Und wiederum ist es sein Vater gewesen, der für den jungen Spieler in dieser Phase der wichtigste Ansprechpartner war. Wie überhaupt in allen fußballerischen Fragen, nach wie vor.
Doch spätestens seit der Partie bei den Kleeblättlern ist Sandro Kaiser wieder drin - im Team. Und hat nicht nur auf seiner gewohnten Flügel Position exakt da angeknüpft, wo er vor seiner Verletzung aufgehört hat, sondern in den beiden Heimspielen gegen Alemannia Aachen und eben gegen St. Pauli eindrucksvoll gezeigt, dass auf ihn auch an anderer Stelle Verlass ist. Ob auf der rechten oder linken Abwehrseite - die Ausfälle von Rukavina und von Holebas hat er jeweils hervorragend kompensiert. Ein bisschen überrascht, wie gut die „Experimente" geklappt haben, ist er zwar selbst, aber vor allem die Position „links hinten" habe ihm „so richtig Spaß gemacht". Und es macht Spaß, ihm dabei zuzusehen. Nach nur knapp einer Spielzeit ist der feine Techniker also im Profibereich angekommen - Respekt hat er sich bei den Löwen längst verschafft.