„Versuche auf dem Platz zu pushen“
(April 2011) Der TSV 1860 ist für den 31-jährigen Necat Aygün sein Heimatverein. Mit zwölf Jahren wechselte er zu den Löwen und unterschrieb hier seinen ersten Profivertrag. Nach Stationen im Ausland und der Liga ist er mit Beginn der Saison zurückgekehrt. Man sieht sich im Leben immer zweimal - dies trifft auch auf Necat Aygün und den TSV 1860 zu. Zehn Jahre lang hatte der in München geborene Deutsch-Türke an der Grünwalder Straße Fußball gespielt, bis er die Löwen im Jahr 2003 schließlich verließ und eine neue fußballerische Herausforderung suchte. Diese hieß SpVgg Unterhaching, und dort reifte der Abwehrspieler eigentlich erst richtig zum Profi. Denn obwohl das Eigengewächs bei den Löwen im Frühjahr 2001 seinen allerersten Profivertag unterschrieb, wurde er von dem damaligen Cheftrainern Werner Lorant und nach dessen Entlassung von Peter Pacult nicht für einen Einsatz im Bundesligateam berücksichtigt. Insofern war ein Abschied irgendwann naheliegend, der Wechsel zum Lokalnachbarn in vielerei Hinsicht besonders praktisch.
„Ich war zuhause in München." Schon vor dem Wechsel nach Unterhaching war Necat Aygün bereits ein Jahr in der Fremde gewesen. Vor allem um Spielpraxis zu sammeln, ließ er sich für ein Jahr nach Istanbul, zu Besiktas, ausleihen. Trotz Angeboten aus der Bundesliga entschied sich der Jungprofi für den Weg in die Türkei, nicht zuletzt weil der damals dort unter Vertrag stehende Trainer Christoph Daum ihn sehr gerne verpflichten wollte und „davon überzeugt" war. Im Nachhinein betrachtet, brachte das türkische Intermezzo nicht den erhofften Erfolg. Insofern sagt die Nummer 13 der Löwen heute: „Vielleicht war der Wechsel ins Ausland für mich etwas zu früh." 21 Jahre jung war der 1,90 Meter große Innenverteidiger zu diesem Zeitpunkt gewesen. Eine Erfahrung kann man ihm allerdings nicht mehr nehmen, die Gelegenheit mit einem Cheftrainer Daum gearbeitet zu haben. Vom aktuellen Coach der Frankfurter Eintracht durfte er einiges mitnehmen: angefangen von seiner Philosophie, die man „klar erkennen konnte", bis hin zu seiner besonderen Art der Spielerführung: „Er kann richtig gut motivieren." Nach seiner Rückkehr nach München und an die Grünwalder Straße hatte sich an der Perspektive für den Jungprofi nicht viel geändert. Der Cheftrainer hieß inzwischen Peter Pacult, die Chance, sich in der Lizenzmannschaft durchzusetzen, war nach wie vor eher bescheiden. Deshalb entschied er sich Anfang 2003 schließlich für den Wechsel nach Unterhaching - und gegen ein erneutes Ausleihgeschäft zu den Stuttgarter Kickers, das zunächst ebenfalls angedacht war. Beim Münchner Vorortverein und in der Zweiten Liga schaffte Necat Aygün dann den entscheidenden nächsten Schritt in seiner Entwicklung und reifte dort zum Führungsspieler. „Ich konnte mich langsam an das Profigeschäft gewöhnen. Für meine Entwicklung war diese Station sehr wichtig." In seiner letzten Saison 2005/2006 bei den Rot-Blauen spielte der Innenverteidiger nicht nur die dominierende Rolle innerhalb der Abwehr, sondern übernahm als Kapitän Verantwortung - auf und neben dem Platz. Diese Saison ist in doppelter Hinsicht eine besondere gewesen. Erstens, und das dürfte vielen Löwenfans noch bitter in Erinnerung sein, war er ganz entscheidend an der 1:4-Derby-Schlappe in der Allianz Arena beteiligt. Am 4. Dezember 2005 gastierte die SpVgg in der heimischen Arena, nach 90 Minuten hatte sich Necat Aygün mit einer überzeugenden Leistung und zwei Toren in das Gedächtnis der Sechziger eingetragen. Besonders bitter, dass die zu diesem Zeitpunkt noch großen Aufstiegshoffnungen vom damaligen Trainer Reiner Maurer und seinem Team einen herben Rückschlag erlitten. Der Ex-Löwe, der aufgrund eines Augenhöhlenbruchs mit auffälliger Gesichtsmaske auflaufen musste, setzte in diesem Spiel mit seinem Treffer zum 1:0 in der 13. Minute den Anfangs- und in der 75. Minute mit dem 4:1 den Schlusspunkt einer aus blauer Sicht völlig missglückten Partie. „Das Phantom der Arena: Aygün schockt die Löwen", titelte BILD damals. Für den doppelten Torschützen und Derbysieger war dieses Spiel dagegen logischerweise „ein absolut positives Erlebnis", und er gibt zu, in der Begegnung mit seinem Jugendverein „besonders motiviert" gewesen zu sein. „Außerdem war es für mich das allererste Spiel in der Allianz Arena." Ein Doppelpack war dem Defensivmann allerdings bereits drei Spieltage zuvor schon einmal gelungen.
Im Heimspiel gegen LR Ahlen siegte Unterhaching im Sportpark mit 2:0, beide Treffer erzielte Necat Aygün. Insgesamt fünf Tore standen alleine in dieser Vorrunde auf seinem Konto, ein deutlicher Beleg für seine Torgefährlichkeit. Nicht zuletzt dank dieser ansprechenden Saisonleistungen schaffte es der frühere U21-Nationalspieler, sich für die 1. Bundesliga zu empfehlen. Der Erstligist MSV Duisburg ließ es sich im Januar 2006 sogar eine höhere sechsstellige Ablösesumme kosten, um den Abwehrspieler an die Wedau zu holen. Während er in der Rückserie beim MSV noch auf insgesamt acht Bundesliga-Einsätze kam, setzten ihn danach immer wieder verschiedene Verletzungen außer Gefecht. „Knie. Leiste, Ferse, Rücken: es war immer wieder etwas anderes", erzählt der Vater eines inzwischen fünf Monate alten Jungen. „Mein Fehler war, dass ich unbedingt spielen wollte und auf die Zähne gebissen habe. Ich habe nicht auf meinen Körper gehört und dadurch alles schlimmer gemacht." Das Verletzungspech sollte sich wie ein roter Faden durch seine weiteren Stationen ziehen - von Duisburg über Ingolstadt bis nach Sandhausen. Nachdem der Vertrag beim Drittligisten SV Sandhausen zum 30. Juni 2010 ausgelaufen und Necat Aygün noch vereinslos war, bekam das Eigengewächs die Chance, sich bei den Löwen fit zu halten. Der Kontakt ergab sich letztlich über Sportdirektor Miki Stevic, mit dem er in der Saison 2004/2005 zusammen bei der SpVgg Unterhaching gespielt hatte. „Ich habe mich darüber sehr gefreut. Es ist für einen Fußballer ganz wichtig, fit zu sein. Gerade, wenn man sich für einen Verein empfehlen will." Aus dem ursprünglich anvisierten Mittrainieren und Sich-Fit-Halten wurde dann aber doch mehr.
Seit 10. August vergangenen Jahres steht der Defensivspieler wieder beim TSV 1860 unter Vertrag und ist somit dahin zurückgekehrt, wo er in der D-Jugend seine ersten Schritte in Richtung Profifußball begonnen hatte. Von Wacker München war er 1992 als Zwölfjähriger zu den Blauen gekommen, nachdem er über die „Münchner Auswahl" auf sich aufmerksam gemacht hatte und infolgedessen zu einem Probetraining eingeladen worden war. Mit der Verpflichtung von Necat Aygün haben die Löwen nicht nur einen sehr erfahrenen Innenverteidiger in ihren Reihen, sondern auch einen Spielertypus, der die Kommunikation mit den Mitspielern sucht. „Alleine kann man nichts erreichen, als Kollektiv ist man auf dem Platz am stärksten. Deswegen versuche ich schon, auf dem Platz zu pushen." Mit dieser Einstellung hat er stets versucht, sich einzubringen, auch wenn er zu Saisonbeginn als Ersatz in der Innenverteidigung vorgesehen war. Darüber hinaus sollte er - dies war die Idee hinter dem Einjahresvertrag - auch der Löwen-U23 in der Regionalliga als Führungsspieler helfen. Wobei er selbst nach wie vor einen hohen Anspruch an sich selbst hat: „Ich weiß, dass ich vom Niveau in der Zweiten Liga spielen kann." Inzwischen wurden aufgrund von Verletzungen und Abgängen in der Winterpause die Karten neu gemischt, so dass Necat Aygün am 26. Spieltag - für viele überraschend - sein Saisondebüt in der Startelf gab. Und beim 3:0-Auswärtssieg bei Arminia Bielefeld durchaus überzeugte. So lobte ihn auch Cheftrainer Reiner Maurer ausdrücklich und hob seine Qualitäten „als Stabilisator für unsere junge Mannschaft" hervor. Was dem Coach besonders gut gefällt? „Er ist einer, der sehr viel redet." Auch beim letzten Heimspiel gegen den Karlsruher SC stand Necat Aygün wieder von Anfang an auf dem Platz, machte eine gute Partie, musste in der 58. Minute allerdings verletzungsbedingt ausgewechselt werden. Damit daraus nicht wieder eine längere Zwangspause wird, kurierte er die Blessur richtig aus. „Ich habe aus meinen früheren Fehlern gelernt!"
Leider fehlte er seinem Team dadurch am vergangenen Wochenende gegen Alemannia Aachen auf dem Tivoli. Der Vertrag des 31-Jährigen läuft zum Ende dieser Saison aus. Doch Schluss soll für den Innenverteidiger deshalb noch lange nicht sein. „Ich will die Jahre, die ich aufgrund von Verletzungen nicht spielen konnte, hinten dran hängen", sagt er lachend. Bis 35 oder 36 möchte er auf jeden Fall noch spielen. Und das natürlich am liebsten bei „meinem Heimatverein. Für meine Familie und mich gehören die Löwen inzwischen einfach mit dazu." Unabhängig vom Fußball hat sich Necat Aygün gemeinsam mit seiner Frau Patricia ein zweites Standbein aufgebaut. In Schwabing, in der Hohenzollernstraße 12 betreiben die beiden das Tagescafé „Dodici", wo es neben Espresso & Co. auch Paninis und kleine Mittagsgerichte gibt. Wo die Vorliebe für das Italienische herkommt? „Ich trinke einfach liebend gerne Café." Der Weg in die Gastronomie hat dabei viel mit seiner Frau zu tun, die selbst 15 Jahre lang in diesem Bereich tätig war. „Ich habe etwas gefunden, was mir Spaß macht. Und bereite damit langsam den Schritt ins nächste Leben vor." Dabei liegt die Betonung ganz bewusst auf langsam. Denn noch schlägt seine Leidenschaft für den grünen Rasen und sein Herz für die Löwen. Seit Herbst vergangenen Jahres konsultiert er regelmäßig einen Osteopathen am Chiemsee, macht unter anderem Akkupunktur und hat seitdem seine Rückenprobleme im Griff. Necat Aygün kennt den TSV 1860, hat als Jugendspieler noch den Aufstieg in die Zweite Liga und in die Bundesliga miterlebt. Und er kennt den steinigen Weg dorthin. „Ich kann mich noch erinnern, dass in der D-Jugend die Trainingsanzüge vor mir schon zwei andere Spieler angehabt haben." Die Nummer 13 weiß genau, welche Euphorie vorhanden ist, wenn es an der Grünwalder Straße nach oben geht. „Es wäre schön, wenn man diese Euphorie wieder wecken kann." An dem gebürtigen Münchner würde es dabei sicherlich nicht scheitern.