„100 Prozent professionell“
(November 2010) Das Eigengewächs von Hansa Rostock wechselte zu Saisonbeginn zum TSV 1860. Der 24-Jährige hat sich schnell in München und bei den Löwen eingelebt hat. Seine Qualität auf dem Platz hat er bereits unter Beweis gestellt.
Sportlich lief es für den gebürtigen Rostocker zuletzt richtig rund. Seit dem 7. Spieltag stand die Nummer 4 jeweils in der Anfangself und überzeugte mit soliden Leistungen. Kai Bülow hat sich zurückgekämpft ins Team. Nachdem er eine „gute Vorbereitung" gespielt und zum Saisonstart ebenfalls unter den ersten Elf war, setzten ihn Rückenprobleme dann verletzungsbedingt außer Gefecht. Am 2. Spieltag, zum Heimspielauftakt gegen Osnabrück, musste er schließlich passen - und war in den folgenden fünf Spielen zwischenzeitlich nicht mehr erste Wahl. Der Abwehrspieler war selbstkritisch genug, um die Entscheidung des Trainers nachzuvollziehen: „Ich hatte vorher ein schlechtes Pokalspiel gezeigt und nicht gut gespielt. Die Mannschaft hat dann gewonnen, also musste ich auf meine Chance warten", erzählt der 24-Jährige.
Die Chance, sich wieder in die Startelf zu spielen, war da, als Abwehr-Kollege Mate Ghvinianidze im Heimspiel gegen Union Berlin wegen einer Bauchmuskelverletzung ausfiel. Cheftrainer Reiner Maurer schenkte Kai Bülow das Vertrauen - und dieser machte seine Sache gut. Im Auswärtsspiel beim Karlsruher SC, das 1860 4:2 gewann, gelang dem Innenverteidiger sogar sein Premieren-Tor im Löwendress. Nach einem Eckstoß von der linken Seite durch Alexander Ludwig traf er in der 55. Minute mit rechts zum zwischenzeitlichen 2:0 im Wildpark. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war der ruhige und sympathische Profi endgültig bei 1860 angekommen. Und mit ihm setzten die Löwen die positive Serie fort, bauten diese sogar weiter aus. Seit nunmehr neun Spielen ist 1860 in der Liga ungeschlagen, gerade auch die Defensive präsentiert sich vergleichsweise kompakt. Gemeinsam mit Stefan Bell, Neuzugang und Leihgabe vom FSV Mainz 05, sorgt der 24-Jährige in der Innenverteidigung für Stabilität, was ein Blick auf die jüngste Statistik belegt. In den vergangenen sechs Partien, in denen das Duo Bülow & Bell in der Mitte der Viererkette agierte, kassierten die Löwen insgesamt nur drei Gegentore, viermal stand hinten die Null. Wie auch am vergangenen Wochenende im Auswärts spiel bei Energie Cottbus, wo die Löwen gegen eine offensiv- und standardstarkee Mannschaft den Laden hinten erneut dicht hielten. Das Zusammenspiel mit Stefan Bell „funktioniert ganz ordentlich", findet denn auch der Abwehrspieler, „wir reden oft miteinander und passen auch vom Spielaufbau gut zusammen".
Auch mit den Münchner Löwen scheint der Neuzugang von Hansa Rostock bestens zu harmonieren. Obwohl geografisch auf der ganz entgegen gesetzten Seite Deutschlands zu Hause, ist dem „Neu-Bayer" die Eingewöhnung „leicht gefallen". Auch wenn zwischen München und Rostock hinsichtlich Größe und Kultur ein großer Unterschied besteht, sieht Kai Bülow dennoch eine wichtige Gemeinsamkeit: „Die Menschen sind sehr naturverbunden. Was in Bayern die Berge sind, ist in Rostock die Ostsee." Das „Naturverständnis" sei ähnlich, deshalb habe er sich auch sofort wohl gefühlt. Dies liegt übrigens auch an der Mannschaft und seinen neuen Mitspielern, die ihm das Einleben überhaupt nicht schwer gemacht haben. Egal, ob mit Daniel Halfar, mit dem er in den Trainingslagern das Zimmer teilt, oder mit Alexander Ludwig - „ich komme mit jedem gut auf". Gemeinsam mit seiner Freundin Antje hat er übrigens im Süden Münchens, in Pullach, eine Wohnung gefunden. Derzeit absolviert Antje noch das letzte Jahr ihres Medizinstudiums in Lübeck und muss dementsprechend pendeln, aber danach wird auch sie komplett in die bayerische Landeshauptstadt ziehen. Wie rasch und gut sich der Abwehrspieler dennoch an seinem neuen Arbeitsplatz an der Grünwalder Straße 114 eingelebt hat, überrascht aber sogar seinen Trainer. „Dass das so schnell geht, ist sicherlich nicht ganz gewöhnlich."
Überhaupt ist Reiner Maurer voll des Lobes über den Mann mit der Nummer 4, dem er nicht zuletzt „eine sehr gute Spieleröffnung" attestiert. „Kai ist ein absoluter Musterprofi mit einer hundertprozentigen Einstellung." Dabei imponiert dem Coach besonders, dass er sich immer vorbildlich einbringt und „voll hinter der Mannschaft steht, auch wenn er nicht spielt". Eine Eigenschaft, die sicher nicht selbstverständlich ist. „Er ist zwar ein ruhiger Spieler, hat aber eine klare Meinung. Und er ist intelligent", so Maurer.
In der Tat wirkt Kai Bülow sehr reif und wohlüberlegt - trotz seines immer noch jungen Fußballalters. Dass er den Weg als Fußballprofi einschlagen würde, zeichnete sich bereits relativ früh ab. Als Fünfjähriger begann die Leidenschaft für das runde Leder. Ein Kindergartenfreund, dessen Vater Trainer bei Hansa Rostock gewesen ist, brachte ihn damals auf die Idee. Nachdem die Kids noch zu jung für den Ostseeklub waren, spielten die beiden zunächst beim Vorstadtverein FSV Bentwisch, um dann ab der E-Jugend für Hansa zu kicken. Und Kai Bülow, der in Rostock geboren und aufgewachsen war, sollte tatsächlich ein echtes Hansa-Eigengewächs werden. Von 1995 bis 2010 spielte er ununterbrochen für die Weiß Blauen, durchlief alle Jugendmannschaften, galt schnell als eine der großen Nachwuchshoffnungen im Verein und unterschrieb hier seinen ersten Profivertrag. Es war damals übrigens Frank Pagelsdorf, der das Talent in die Erste Mannschaft beförderte und insofern einen nennenswerten Anteil innerhalb seiner Entwicklung einnahm. Gleichwohl betont Kai Bülow, dass alle Hansa-Trainer, von der Jugend bis hin zum Seniorenbereich, „alle ihren Anteil haben". Insgesamt 130 Ligaspiele, davon 29 in der 1. Bundesliga, absolvierte er für Hansa Rostock.
Es ist also nachvollziehbar, dass ihm der Abschied nach 15 Jahren „sehr schwer gefallen ist". Und dass er natürlich nach wie vor „sportlich immer noch voll mitfiebert". Gleichwohl stand schnell fest, dass Kai Bülow Hansa Rostock nach dessen Abstieg in die Dritte Liga verlassen wird. „Ich will mich weiter verbessern. Wäre ich geblieben, wäre dies sportlich ein zu großer Rückschritt gewesen." Und so hat er sich, „nach ein paar losen Gesprächen mit anderen Klubs", schließlich für den Traditionsverein aus Giesing entschieden. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt und in den Gesprächen noch Ewald Lienen auf der Trainerbank saß - heute ist Kai Bülow „im Nachhinein sehr glücklich", dass er letztlich beim TSV 1860 gelandet ist.
Seine Familie konnte sich bereits überzeugen, wie wohl sich Kai Bülow im neuen Umfeld fühlt. „Meine Eltern waren zweimal da, einmal beim Umzug und zuletzt beim Heimspiel gegen Aachen", erzählt er. Noch öfter sieht er seinen zwei Jahre älteren Bruder Lars, der in Passau lebt und an der dortigen Universität eine Lehrstelle hat und an seiner Doktorarbeit in Sprachwissenschaften arbeitet. Die Liebe zum Sport ist übrigens ein verbindendes Element in der Familie Bülow. Vater Jochen war in den Jahren 1978 bis 1991 ein erstklassiger Segler vom ASK beziehungsweise Empor Rostock. Und Bruder Lars machte sich im Handball einen Namen; er gehörte zur Junioren-Auswahl des Landes, spielte für HC Empor Rostock in der 2. Bundesliga und steht mittlerweile beim Regionalligisten TSV Simbach unter Vertrag. Die Bülows - eine absolut sportliche Familie.
Neben dem sportlichen Ehrgeiz und den klaren beruflichen Zielen beeindruckt eine weitere Facette in Kai Bülows Biographie: seine soziale Verantwortung. So unterstützte er als Hansa-Profi den so genannten „Brückenkurs" der Rostocker Volkshochschule, ein Kurs, der Menschen mit einer Lernschwäche oder Behinderung Lesen und Schreiben vermittelt. Der Kontakt, insbesondere zu der Kursleiterin Sibylle Pavel, ist während seines Zivildienstes entstanden, den er beim Roten Kreuz absolvierte. „Dort habe ich Fahrdienst gemacht und auch einige dieser benachteiligten Kinder kennen gelernt." Diesen Kurs unterstützte der Profi, er besuchte immer wieder den Unterricht, half mit bei der Herausgabe eines eigenen Lehrbuches oder sammelte bei einem Glühwein-Verkauf für eben jene Einrichtung. „Es ist schön zu sehen, wie diese Menschen Mut fassen und Fortschritte machen." Aus diesem Engagement für den „Brückenkurs" ist schließlich vor zwei Jahren der Kai-Bülow-Fanclub entstanden, der Kontakt besteht nach wie vor - auch nach seinem Wechsel zum TSV 1860 München. „Vor allem mit der Kursleiterin halte ich die Verbindung. Einmal pro Woche schreiben wir uns, meist per SMS", freut sich Kai Bülow: „Man vergisst oft, wie gut es einem wirklich geht." Die Kursteilnehmer haben nicht vergessen, was der ehemalige Profi von Hansa Rostock ihnen durch seine Unterstützung gegeben hat.
Diese Sozialkompetenz ist eben eine jener Qualitäten, die gerade auch Reiner Mauer an dem 24-Jährigen zu schätzen weiß. Wenn dann, wie bei Kai Bülow, die Leistungen auf dem Platz ebenfalls stimmen, dann kann man tatsächlich von einem „Musterprofi" sprechen.